Chala-Regasa-Show beim Vienna City Marathon
Nach seiner entschlossenen Attacke bei Kilometer 30 lief Chala Regasa als überlegener Sieger des Vienna City Marathon ins Ziel. Über vier Minuten später faszinierte der enge Kampf um Platz zwei, der zugunsten Bernard Muias ausging. Der 26-jährige äthiopische Sieger erzielte bei seinem zweiten Marathonlauf die drittschnellste je beim VCM verbuchte Marathonzeit.
Kurz vor der Wende beim Ernst-Happel-Stadion verwandelte sich das bis dahin mit einer großen und kompakten Gruppe flott gestaltete Rennen zur One-Man-Show von Chala Regasa. Bereits vor dem Ausstieg des letzten Tempomachers hatte der vom Schweizer Marathon-Rekordhalter Tadesse Abraham gemanagte Äthiopier einen kleinen Vorsprung auf die Konkurrenz. Als er alleine vorne lag, setzte er mit beeindruckenden Kilometerzeiten von knapp unter drei Minuten einfach fort und erarbeitete sich einen großen Vorsprung. Nur der letztjährige Sieger und Streckenrekordhalter Samwel Mailu (2:05:08) sowie Getu Feleke im Jahr 2014 (2:05:41) haben die Marathonstrecke durch die Bundeshauptstadt jemals schneller absolviert.
Schlussdrittel in eigener Liga
„Es war ein echtes Lauffest für ihn!“, beschrieb Rennleiter Mark Milde das Schlussdrittel Regasas, das auch das in großer Menge erschiene Publikum entlang der Strecke begeisterte. Zum erst fünften Mal feierte der VCM bei seiner 41. Auflage einen äthiopischen Sieger im Männerrennen. Der Vorsprung von vier Minuten und sieben Sekunden ist der größte beim VCM seit 2015. Damals triumphierte Regasas Landsmann Sisay Lemma dem Wind zum Trotz mit vier Minuten und 43 Sekunden Vorsprung. Damals sein Premierensieg im Marathon. In den letzten Monaten bestach Lemma mit Siegen beim Valencia Marathon und Boston Marathon und gilt als einer der aussichtsreichsten Favoriten auf den Olympiasieg von Paris. Wer weiß, was die Zukunft bringen mag – vielleicht ein gutes Omen für den überzeugenden VCM-Champion 2024!
Perfekte Vorbereitung mit Bekele
„Ich war selbst überrascht, wie früh ich alleine an der Spitze war. Letztendlich fehlte mir die Konkurrenzsituation, mit der ich mich vielleicht zu einer noch schnelleren Zeit puschen hätte können“, meinte der 26-Jährige, der seit zwei Jahren mit der äthiopischen Laufgröße Kenenisa Bekele trainiert, sein großes Idol von Kindheitstagen an. Daher freute sich der Wien-Sieger auch über das parallele, starke Abschneiden Bekeles beim London Marathon.
Für seine eigene, noch junge Marathon-Karriere war der heutige Tag ein bedeutender. Es ist sein Premierensieg. Dieser stellte ihn glücklich, auch wenn er das Ziel einer persönlichen Bestleistung knapp nicht erreichen konnte. „Der Streckenabschnitt in der Prater Hauptallee, den ich vom INEOS sub-2-Projekt kannte, war der optimale Ort, um Gas zu geben. Ich habe alles aus meinen Körper herausgeholt, aber der Wind war am Ende zu stark, um unter 2:06 laufen zu können.“ Die Erinnerungen an 2019 sind zentral für den Werdegang Regasas: Damals, als Mittelstreckenspezialist Teil des Pacemaker-Teams von Eliud Kipchoge, ließ er sich vom Marathonlaufen inspirieren.
Frühe Vorentscheidung
Bei der Pressekonferenz am Freitag war Regasa aus dem Top-Trio des Feldes noch derjenige mit den am wenigsten offensiven Ankündigungen. Auf der Strecke konnte er im Gegensatz zu seinen kenianischen Hauptkontrahenten aber seine Stärke nachweisen. Bereits in der ersten Rennhälfte fiel der Vorjahres-Zweite Bethwell Yegon aus der Spitzengruppe zurück. Die Spitze passierte die Halbmarathon-Zwischenzeit fast plangemäß in einer Zeit von 1:03:03 Stunden. Felix Kibitok konnte nach 30 Kilometern dem Tempo von Regasa nicht mehr folgen, blieb aber bis nach der Zwischenzeit bei Kilometer 35 auf Schlagdistanz, ehe er völlig einbrach und bis auf Position sieben zurückgereicht wurde.
Auch Leonard Barsoton, der zwei Kilometer vor der Ziellinie noch auf einem beruhigenden zweiten Platz zu laufen schien, verpasste eine Stockerlplatz. Seine kenianischen Landsleute Bernard Muia und Albert Kangogo liefen noch auf der Zielgerade an ihm vorbei. Muia, der erst seinen zweiten Marathon absolvierte, erreichte das mit Abstand beste Wettkampfergebnis seiner Karriere, alle Distanzen zusammen. Kangogo, der über große Pacemaker-Erfahrung verfügt und gute Halbmarathon-Leistungen vorweisen kann, finishte seinen achten Marathon mit der viertbesten Zeit seiner Karriere.
Einmal um die halbe Welt zur Bestleistung
Den größten Sprung nach vorne im Laufe des Wettkampfs schaffte Cameron Avery. Er lief das Rennen als Teil der Gruppe, die letztlich vergeblich das Olympia-Limit von 2:08:10 Stunden anstrebte, an und lag bei der Halbmarathon-Zwischenzeit von 1:04:26 Stunden auf Platz 17. Im Gegensatz zu vielen Kontrahenten verlor der Neuseeländer auf der zweiten Hälfte weniger Zeit und finishte in einer persönlichen Bestzeit von 2:10:53 Stunden auf Platz fünf. Damit schob sich der 26-Jährige in die Top-Ten der ewigen neuseeländischen Bestenliste im Marathon.
„Ich hätte nie gedacht, in den Top-Fünf zu landen. Ich bin sehr stolz darauf. Der ganze lange Weg von meiner Heimat hierher hat sich mehr als rentiert“, freute er sich im Ziel. Avery versuchte sich jahrelang im US-Collegesystem, schaffte den Durchbruch dort jedoch nicht und betreibt den Laufsport heute als ambitionierter Freizeitläufer mit einem Vollzeitjob als Physiologe in einem Krankenhaus in seiner Heimat. „Ich liebe den Marathon einfach. Ich liebe die Distanz, ich liebe die Herausforderung, ich liebe die Taktik“, strahlte er. „Heute war früh klar, dass das Olympia-Limit für uns alle in der Gruppe außer Reichweite war. Es ging darum geduldig zu bleiben und bei Kilometer 35 habe ich genau den richtigen Moment erwischt, aktiv zu werden und ein gutes Finale hinzubekommen.“ Aus seiner Leistung entnimmt er hohe Motivation für kommende Ziele: Die WM in Tokio 2025 sowie die Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 hat er dabei fest im Blick.
Top-Österreicher im Feld der besten Europäer
Der beste Europäer im Feld des VCM 2024 war überraschend der Este Leonid Latsepov, der seiner Begeisterung über eine persönliche Bestleistung von 2:13:38 Stunden mit einem lauten Jubelschrei hinter der Ziellinie Ausdruck verlieh. Die Top-Ten der Gesamtwertung verpasste er nur um vier Sekunden. Als zweitbester Europäer lief Levente Szemerei nach 2:14:12 Stunden ins Ziel und feierte den Titelgewinn bei den ungarischen Meisterschaften. Mit Mario Bauernfeind und Peter Herzog lieferten sich die beiden besten Österreicher des Felds einen interessanten Schlagabtausch, die beiden erreichten das Ziel auf den Position 15 und 19. Bauernfeind erzielte in 2:14:19 Stunden die zweitschnellste Marathonzeit seiner Karriere, Herzog absolvierte in 2:15:29 Stunden seinen schnellsten Marathon auf Wiener Boden. Es war sein erster Marathon seit 19 Monaten. Der Deutsche Erik Hille überquerte die Ziellinie, geschwächt von muskulären Beschwerden, auf Position 22.
Ergebnis Vienna City Marathon 2024 der Männer
1. Chala Regasa (ETH) 2:06:35 Stunden
2. Bernard Muia (KEN) 2:10:42 Stunden
3. Albert Kangogo (KEN) 2:10:44 Stunden
4. Leonard Barsoton (KEN) 2:10:52 Stunden
5. Cameron Avery (NZL) 2:10:53 Stunden
6. Juan Pacheco (MEX) 2:11:42 Stunden
7. Felix Kibitok (KEN) 2:12:44 Stunden
8. Micah Cheserek (KEN) 2:13:05 Stunden
9. Aloyce Simbu (TAN) 2:13:31 Stunden
10. Daniel Paulus (NAM) 2:13:34 Stunden
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15. Mario Bauernfeind (AUT) 2:14:19 Stunden
19. Peter Herzog (AUT) 2:15:29 Stunden