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Fast ein Weltrekord von Chepngetich, so viele Spitzenleistungen wie nie zuvor

Die Jahresbilanz 2022 im Marathon der Frauen

Die Marathonleistungen der Frauen im Jahr 2022 waren in der absoluten Spitze so gut wie nie zuvor – auch ohne Weltrekord. In Chicago verpasste die Kenianerin Ruth Chepngetich die globale Bestmarke nur um 14 Sekunden und wurde mit 2:14:18 Stunden zur zweitschnellsten Läuferin der Marathon-Geschichte. Zwei Zeiten unter 2:15 Stunden gab es 2022 ebenso wie fünf Ergebnisse unter 2:17 und gleich ein Dutzend unter 2:18 - alles sind zuvor nie erreichte Werte.

Von den zehn schnellsten Zeiten überhaupt wurden fünf 2022 gelaufen. In den Top 20 finden sich nun elf Ergebnisse aus dem vergangenen Jahr. Damit stellen die Frauen in dieser Statistik auch die Männer deutlich in den Schatten.

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2:20 Stunden gleich 37 Mal unterboten

Eine große Zeitbarriere verliert auf globaler Ebene langsam an Bedeutung: 37 Ergebnisse unter 2:20 Stunden wurden 2022 bei den Frauen registriert. Erst 2001 hatte eine Frau, die Japanerin Naoko Takahashi, erstmals die Marke von 2:20 durchbrochen. Sie triumphierte damals in Berlin mit 2:19:46.

Insgesamt wurden bisher 109 Zeiten unter 2:20 Stunden erreicht. Das heißt, knapp über ein Drittel aller dieser Ergebnisse kommen alleine aus dem vergangenen Jahr. Die inzwischen seit einigen Jahren gängigen und offenbar weiter verbesserten Carbon-Laufschuhe haben an dieser Entwicklung sicherlich einen Anteil. Wie bei den Männern wird dies auch deutlich, wenn man tiefer in die Bestenlisten schaut. Die 2:25 Stunden - in früheren Jahren ebenfalls eine noch deutlich bedeutendere Zeitgrenze - wurde 2022 genau 143 Mal unterboten. 979 derartige Zeiten finden sich inzwischen in der All-Time-Liste.

Zwei Läuferinnen zweimal unter 2:18

In der Weltspitze gab es ein weiteres Superlativ: Erstmals gab es Athletinnen, die in einem Kalenderjahr gleich zweimal Zeiten von unter 2:18:00 Stunden liefen: Ruth Chepngetich war vor ihrem Chicago-Sieg in 2:14:18 bereits 2:17:18 in Nagoya gelaufen. Zu ihrem sehr knapp verpassten Weltrekord im Oktober gibt es übrigens ein interessantes Detail: Die Chicagoer Veranstalter hatten auf die Dienste des Berliner Physik-Professors Helmut Winter verzichtet, der mittels einer auf einem Begleitfahrzeug montierten Zeitanzeige stets akkurat ausgerechnete Zielzeit-Hochrechnungen anzeigt und damit Eliud Kipchoge in Berlin ebenso erfolgreich unterstützte wie 2019 Brigid Kosgei bei ihrem Weltrekordrennen in Chicago. Die Amerikaner verließen sich in diesem Jahr lediglich auf ihren allgemeinen Zeitmessungs-Anbieter (ebenfalls aus Deutschland).

Mit Yalemzerf Yehualaw gab es noch eine zweite Athletin, die zweimal unter 2:18 lief - und das, obwohl sie eine Newcomerin ist. Zunächst lief die Äthiopierin bei ihrem Sieg in Hamburg das schnellste bis dahin registrierte Marathondebüt von 2:17:23, dann gewann sie im Herbst auch in London mit 2:17:26.

Neue Namen mit Turbo-Leistungen

Insgesamt gleich dreimal fiel im vergangenen Jahr der inoffizielle Debüt-Weltrekord. In Amsterdam gewann die 10.000-m-Olympiasiegerin von 2016, Almaz Ayana, in 2:17:20, und in Valencia lief ihre äthiopische Landsfrau Letesenbet Gidey dann 2:16:49. Die Halbmarathon-Weltrekordlerin, der man auf Anhieb auch den Marathon-Weltrekord zugetraut hatte, wurde damit überraschend „nur“ Zweite. Denn Amane Shankule (Äthiopien) triumphierte sensationell in 2:14:58. Sie ist eine Trainingspartnerin ihrer Landsfrau Tigist Assefa, die zuvor überraschend mit einer enormen Steigerung auf 2:15:37 in Berlin gewonnen hatte. So finden sich eineinhalb Jahre vor den Olympischen Spielen in Paris viele neue Namen in der Weltspitze. Dazu gehört auch Gotytom Gebreslase, die 2021 ihr Debüt in Berlin gewonnen hatte und nun in Eugene (USA) Weltmeisterin wurde. Dabei lief die Äthiopierin mit 2:18:11 einen WM-Rekord und siegte vor Judith Korir (Kenia/2:18:20) und Lonah Salpeter (Israel/2:20:18).

Europa im Schatten

In Europa ist die Entwicklung bezüglich der Topzeiten noch nicht so extrem. Drei europäische Läuferinnen - alle mit kenianischen Wurzeln - blieben im vergangenen Jahr unter 2:20 Stunden und neun erreichten Zeiten von unter 2:25. Zum Vergleich: 2021 gab es eine Zeit unter 2:20 und nur fünf unter 2:25 - genauso wie auch 2019. In der europäischen Alltime-Liste finden sich bisher erst elf Ergebnisse unter 2:20 Stunden, wobei Paula Radcliffe (Großbritannien) und Lonah Salpeter (Israel) jeweils vier dieser Zeiten erzielten und Joan Melly (Rumänien) zwei. Die dann noch fehlende Zeit in dieser Liste ist der deutsche Rekord von Irina Mikitenko, die 2008 in Berlin 2:19:19 gelaufen war.

EM in München als Highlight

Der Höhepunkt für viele europäische Marathonläuferinnen war natürlich die EM in München. In einem Hitzerennen gewann die Polin Aleksandra Lisowska in 2:28:36 Stunden vor Matea Parlov Kostro (Kroatien/2:28:42). Dritte wurde die Niederländerin Nienke Brinkmann nach 2:28:52 ganz knapp vor der zeitgleichen Miriam Dattke aus Deutschland. In einem dramatischen Duell auf den letzten Metern musste sich die Läuferin der LG Telis Finanz Regensburg haarscharf geschlagen geben. In ihrem erst dritten Marathonrennen zeigte Miriam Dattke bei den unangenehmen Wetterbedinungen eine herausragende Leistung und konnte sich mit der Goldmedaille in der Team-Wertung trösten. Das deutsche Team gewann diese Europa-Cup-Wertung.

Mit jeweils 2:26:50 führen Miriam Dattke und Domenika Mayer die deutsche Jahresbestenliste an. In der europäischen Jahresliste belegen sie damit Platz 13. Bei den Frauen zeichnet sich nun ein sehr spannender Kampf um die drei olympischen Startplätze ab. Abzuwarten bleibt, wann und in welcher Form Melat Kejeta (Laufteam Kassel) sich nach der Geburt ihres Kindes im vergangenen Mai zurückmelden wird.

London bleibt schnellster Marathon der Frauen

In der Liste der schnellsten City-Marathonrennen steht weiterhin London an Position eins. Der Durchschnitt der zehn schnellsten Frauen-Zeiten beträgt dort nun 2:17:35,6 Stunden. Einen enormen Sprung von Platz fünf auf Rang zwei machte das Rennen in Valencia. Mit 2:17:41,6 sind die aufstrebenden Spanier nun sogar den Londonern sehr dicht auf den Fersen. Hinter Chicago (2:17:57,3) ist Berlin mit 2:18:24,7 die Nummer vier. Mit dem Mainova Frankfurt-Marathon gibt es ein zweites deutsches Rennen unter den Top Ten. Die Frankfurter belegen Platz zehn mit 2:21:11,8.

Zieht man bei dieser Wertung die Durchschnitts-Zeiten der Männer und Frauen zusammen, gibt es mit Valencia (4:20:58,1 Stunden) einen neuen Spitzenreiter. Zweiter ist Berlin (4:21,04,5) während London (4:21:21,4) auf Platz drei abgerutscht ist.

Masters-Läuferinnen führen Österreichs Top-Liste an

Für Österreichs Marathonspitze war 2022 ein durchwachsenes Jahr. Die Wienerin Carola Bendl-Tschiedel führt mit 2:52:16 Stunden vom Berlin Marathon die ÖLV-Jahresbestenliste an. Als Masters-Läuferin der Altersklasse W45 zeigte sie damit ein sehr beachtliches Resultat. Zudem konnte sie beim New York Marathon in 2:58:52 ihre Age-Group gewinnen. An zweiter Position des österreichischen Rankings findet sich Karin Freitag mit 2:54:38 Stunden vom Pisa Marathon – auch dies ist für sie persönlich ein starkes Ergebnis.

Weitere österreichische Läuferinnen schafften es 2022 jedoch nicht unter die 3-Stunden-Marke. ÖLV-Rekordhalterin Eva Wutti (2:30:43) kam aus Gesundheitsgründen nie richtig in Fahrt. In der zweiten Jahreshälfte gelang ihr jedoch nach einem Neustart ein guter Halbmarathonauftritt. Mehrere weitere Läuferinnen, die in den letzten Jahren unter drei Stunden geblieben waren, schafften aus unterschiedlichen Gründen kein Marathonfinish, u.a. Victoria Schenk, Julia Mayer und Cornelia Moser-Stöckl (sie brachte 2022 ihren Sohn Adrian zur Welt). Das neue Jahr ist zugleich schon das Jahr vor den nächsten Olympischen Spielen. Eva Wutti und Julia Mayer könnten das Potenzial dafür haben, auch wenn das direkte Limit massiv hochgeschraubt wurde und bei 2:26:50 Stunden liegt. Der Qualifikationsweg über die Weltrangliste bietet jedoch weitere Chancen.

Die schnellsten Zeiten 2022
2:14:18 Ruth Chepngetich KEN Chicago 9.10.
2:14:58 Amane Shankule ETH Valencia 4.12.
2:15:37 Tigist Assefa ETH Berlin 25.9.
2:16:02 Brigid Kosgei KEN Tokio 6.3
2:16:49 Letesenbet Gidey ETH Valencia 4.12.
2:17:18 Ruth Chepngetich KEN Nagoya 13.3
2:17:20 Almaz Ayana ETH Amsterdam 16.10.
2:17:23 Yalemzerf Yehualaw ETH Hamburg 24.4
2:17:26 Yalemzerf Yehualaw ETH London 2.10.
2:17:29 Sheila Chepkirui KEN Valencia 4.12.
2:17:36 Tadu Teshome ETH Valencia 4.12.
2:17:58 Ashete Bekere ETH Tokio 6.3
2:18:00 Rosemary Wanjiru KEN Berlin 25.9.
2:18:03 Tigist Abayechew ETH Berlin 25.9.
2:18:04 Joan Melly ROU Seoul 17.4.

Die schnellsten City-Marathonrennen

1. LONDON 2:17:35,6
2:15:25 Radcliffe GBR 2003
2:17:01 Keitany KEN 2017
2:17:26 Yehualaw ETH 2022
2:17:42 Radcliffe GBR 2005
2:17:43 Jepkosgei KEN 2021
2:17:56 Dibaba KEN 2017
2:17:58 Azimeraw ETH 2021
2:18:07 Jepkosgei KEN 2022
2:18:18 Bekere ETH 2021
2:18:20 B. Kosgei KEN 2019

2. VALENCIA 2:17:41,6
3. CHICAGO 2:17:57,3
4. BERLIN 2:18:24,7
5. TOKIO 2:18:39,8
6. DUBAI 2:19:08,9
7. AMSTERDAM 2:19:23,7
8. NAGOYA 2:20:59,0
9. BOSTON 2:20:59,6
10. FRANKFURT 2:21:11,8

Basierend auf dem Durchschnitt der zehn schnellsten je bei dem Rennen gelaufenen Zeiten.

VCM News. Text und Statistik: Jörg Wenig / race-news-service.com. Red. – AM